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Tratsch

unterwegs 9. November 2008

INTERVIEW

Offen währt am längsten

 

Warum tratschen wir überhaupt? Und wann wird’s kritisch? Volker Kiemle hat darüber mit Hartmut Schäffer gesprochen. Hartmut Schäffer ist Mediator und Ausbilder für Mediation.

 

Herr Schäffer, dass Menschen übereinander reden, ist ja normal. Ab wann schadet tratschen?

Kaum jemand wird etwas dagegen haben, wenn andere Gutes über uns weiter sagen. Auch wenn sie Erfahrungen mit uns, die mit Kritik verbunden sind, in fairer Weise und wahrheitsgemäß weitergeben, werden wir dies akzeptieren (müssen). Verletzt sind wir, wenn wir erfahren, dass andere schlecht über uns reden. Wenn sie nicht die Wahrheit sagen, übertreiben, verleumden, Gerüchte in die Welt setzen oder uns lächerlich machen wollen.

Wird innerhalb von Gemeinden Ihrer Erfahrung nach anders getratscht als in anderen Gruppen und Vereinen?

Ich weiß nicht. Zumindest ist es aber ernüchternd zu beobachten, dass auch in den Gemeinden hinter dem Rücken anderer schlecht über Betroffene geredet wird. Das kann sehr weh tun und widerspricht dem Geist der gegenseitigen Wertschätzung, zu dem uns Jesus ermuntert und auffordert. Mt. 7,12 könnte, auf den Tratsch übertragen, lauten: Haut andere nicht in die Pfanne, denn ihr wollt ja auch nicht in die Pfanne gehauen werden.

Aber manchmal sieht man doch von außen mehr...

Da, wo wir meinen, andere zu Recht kritisieren zu müssen, sollten wir den Mut zum persönlichen Gespräch haben. Das könnte in der Gemeinde noch schwerer sein als in einem Verein, weil Harmonie für uns ein besonders hohes Gut zu sein scheint.  Das offene Austragen von Konflikten gehört oft nicht zu den Grundkompetenzen einer Gemeinde. So entlasten wir uns gerne indirekt und auf Kosten der Personen, über die wir tratschen.

Wenn ich merke, dass sich die Menschen in meiner Umgebung ausgiebig über mich unterhalten - wie soll ich reagieren?

Dass andere über mich reden, ist in Ordnung. Wenn sie Gutes über mich sagen, darf ich mich freuen. Wenn ich den Eindruck habe, ich werde verspottet oder verleumdet, dann sollte ich die Akteure ansprechen. Das ist nicht so leicht, denn in mir rumoren starke Gefühle: Zorn, Enttäuschung, vielleicht auch Selbstmitleid. Gegen diese Gefühle kann man sich kaum wehren. Es hilft, sie im Gespräch zu benennen: „Ich habe gestern zufällig mitbekommen, dass du über meine Kindererziehung gelästert hast. Darüber war und bin ich empört, denn wenn du mich hintenherum kritisierst, fühle ich mich nicht ernst genommen. Lieber wäre es mir, wenn du mich direkt ansprechen würdest.“

Doch Vorsicht: manchmal bilden wir uns auch nur ein, dass über uns schlecht geredet wird. Wenn wir nicht sicher sind, sollten wir zunächst mit einer Anklage zurückhalten: „Gestern, als ich ins Zimmer kam, habt ihr so verlegen gelacht. Habt ihr etwa über mich gesprochen? Oder war mein Eindruck falsch?“

Gibt es einen Punkt, an dem es keinen Sinn mehr hat, sich mit "Tratschtanten" auseinander zu setzen? Und wie erkenne ich, dass dieser Punkt erreicht ist?

Wenn Tratschtanten (oder Tratschonkel…) auch nach mehrmaliger Konfrontation nicht aufhören, schlecht über mich zu reden, kann es sinnvoll sein, eine dritte Person hinzuzuziehen, am besten jemanden, der vom Tratschenden respektiert wird. Das ist vor allem dann empfehlenswert, wenn der Tratsch rufschädigend ist oder wenn man sich schon gemobbt fühlt. Tratsch scheut die Öffentlichkeit und das Licht. Wenn es jedoch jemand ist, der das Tratschen einfach nicht lassen kann, also überall und über jeden tratscht, dann kann man das Problem vielleicht sogar gelassener angehen. Denn solche Tratscher werden bald von den Mitmenschen entsprechend eingeordnet und ihr Wort nicht mehr ernst genommen.

Wie gehen Sie selbst mit Tratschenden um?

Manche Menschen erzählen gerne etwas über Dritte „unter dem Siegel der Verschwiegenheit“. Ich habe mir angewöhnt, eine solche Verschwiegenheit nicht zu akzeptieren, weil ich im Zweifel das Gesagte nicht mehr überprüfen kann und mich ein solches zweifelhafte Wissen im Umgang mit der betroffenen Person belastet. Und selbst wenn es wahr wäre: Das Versprechen der Verschwiegenheit nimmt mir die Möglichkeit, mich adäquat mit dem Gehörten auseinanderzusetzen: „Herr Müller fand Deine letzte Predigt theologisch sehr fragwürdig – aber erzähl ihm nicht, dass ich es dir gesagt habe.“ Wenn ich mich darauf einlasse, habe ich ein Problem mit Herrn Müller, ohne dass ich etwas dagegen tun könnte. Deshalb erwidere ich: „Doch, ich möchte das schon mit Herrn Müller zu klären versuchen. Und wenn er mich fragt, woher ich das weiß, werde ich deinen Namen schon nennen müssen.“ – Dieses Vorgehen hat generell den angenehmen Nebeneffekt, von dieser Tratschtante in Zukunft unbehelligt zu bleiben…

Hat Tratsch auch etwas Gutes?

Soziologen sagen: ja. Es ist ein Mittel zum Dampfablassen, da wo ich mich z.B. bei einer vertrauten Person über die Zornausbrüche meines Chefs beklagen darf oder wo ich meinen Neid über einen Besserverdiener oder Besserkönner formulieren kann. Eine weitere Funktion, die Klatsch erfüllt, ist das Stiften von Gemeinschaftsidentität. Wir reden über Dazugehörige (in der Gemeinde, im Verein, im Betrieb) und wer mitreden kann, gehört dazu. Wenn wir nur noch miteinander und nicht mehr übereinander reden würden, wäre die Welt bald stiller, aber auch einsamer.

Und doch ist unser Reden über andere oft grenzwertig. Ein Maßstab könnte vielleicht unsere innere Haltung sein. Wenn die betroffene Person heimlich dabei wäre und zuhören würde – könnte ich ihr  nach dem Gesagten noch in die Augen schaun?