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Mediation/Kirche

ZS ”praxis” 29.5.01

Vom Konfliktgegner zum Konfliktpartner:

Mediation auch für christliche Gemeinden?

Hartmut Schäffer

 

1. Worüber wir uns streiten

 

Dürfen sich Christen überhaupt streiten? Oder ist es am Ende ungeistlich? Gerne und mit etwas Wehmut fällt uns an dieser Stelle die lukanische Schilderung der Urgemeinde in Jerusalem ein: ”...sie waren täglich einmütig beieinander... sie hatten alle Dinge gemeinsam... sie waren ein Herz und eine Seele...” (Ag.2 u. 4). Und doch: Auch die Jünger haben sich von Anfang  an gestritten und miteinander gerungen (”Als nun Zwietracht entstand und Paulus und Barnabas einen nicht geringen Streit mit ihnen hatte...” Ag. 15,2). Und das ist bis auf den heutigen Tag so geblieben.

 

Konflikte sind natürlicher Ausdruck unseres Menschseins. Sie entstehen immer bei unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen. Sie sind also kein ”Betriebsunfall” und auch kein Zeichen dafür, dass etwas geistlich bei uns nicht stimmt. Wenn wir uns in unserer Vielfalt an ”Wollen, Fühlen und Verstand” ernst- und annehmen wollen, dann müssen wir auch die dazugehörigen Spannungen und Konflikte akzeptieren.

 

Im gemeindlichen Umfeld entsteht Streit auf ganz verschiedenen Ebenen. Es sind ja nicht nur die einzelnen Gemeindeglieder, die aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen in einen Erbstreit geraten oder über das gesungene Liedgut uneins sind; mindestens vier weitere Konfliktfelder tun sich häufig auf.

 

Da ist zunächst das Schnittstellenproblem zwischen einzelnen Dienstgruppen, zwischen Dienstgruppen und Gemeindeleitung, zwischen Hausmeister und Küchenteam usw. Vielleicht ärgert sich der Seniorenkreis darüber, dass die Jugend den gemeinsam genutzten Raum selten so hinterlässt wie er es sich wünscht. Vielleicht hat die Frauengruppe ihren Ausflug so gelegt, dass wichtige Chorsänger bei einer Generalprobe fehlen.

 

Dazu kommen Führungskonflikte, ausgelöst durch menschliche oder fachliche Defizite von Gemeindeleitern, Pastoren oder Dienstgruppenleitern. Leicht wird die wichtige Arbeit eines Mitarbeiters übersehen. Oder der Versuch, es mehreren Personen recht zu machen, führt zu einem massiven Interessenskonflikt. Der Organisator der Weihnachtsfeier ist überfordert und keiner merkt es. Oder alle merken es, nur der Pastor nicht...

 

Eine dritte Konfliktquelle ist ein diffuses Leitbild in der Gemeinde, z.B. ein Streit (selten offen ausgetragen) um unterschiedliche missionarische oder diakonische Schwerpunkte. Und schließlich tragen Organisations- und Kommunikationsmängel zu großen und kleinen Auseinandersetzungen bei.

 

2. Konflikte können Chancen sein

 

Wir erleben Konflikte als Krisen. Sie stören nicht nur unser allgemeines Harmoniebestreben, sondern werden oft als persönliche Angriffe empfunden. Sie verletzen, soweit wir angegriffen werden, unser Ego. Sie sind eine Bedrohung unseres Selbstwertgefühls. Sie stellen uns in Frage. Jede Kritik reizt zur gereizten Antwort. Je nach Veranlagung oder Konditionierung reagieren wir in einem Konflikt, an dem wir beteiligt sind, mit eisigem, verletztem Schweigen, mit lautem Aufbrausen oder mit Verdrängung. Wie viele Konflikte liegen in unserer Gemeinde unter dem Teppich? Dort beginnen sie zu modern und machen sich vielleicht schließlich in einer Weise wieder bemerkbar, wie es keiner vermutet hätte.

 

Konflikte sind Indikatoren dafür, dass etwas in einer Beziehung oder in einem Beziehungsgeflecht wie der Gemeinde nicht ”rund läuft”. Deshalb sollten wir sie nicht als Katastrophen, sondern als Wachstumsknoten ansehen. Zunächst hat es den Anschein, als ob der Konflikt blockiert, dass sich die Dinge durch den Konflikt verschlimmern. Wenn es aber gelingt, ihn in guter Weise zu lösen, gehen wir und die anderen  Beteiligten gestärkt aus dem Konflikt hervor.

 

3. Das Harvard Project

 

Konflikte sind also normal. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, wie wir Konflikte in guter Weise austragen können. Bekommt der Stärkste oder Wortgewandteste Recht? Spricht jemand ein Machtwort? Und wer?

 

Seit etwa 25 Jahren beschäftigt sich die Harvard-Universität in einem Forschungsprojekt (”Harvard Negotiation Project”) damit, verbesserte Methoden der Konfliktlösung zu entwickeln. Dazu wurden Tausende von Fällen gesammelt, in denen es zu einer guten Beilegung eines Konfliktes gekommen war. Man untersuchte Konflikte in allen Bereichen: in der Wirtschaft, Politik, Schule oder Ehe. 1981 erschien ein Buch (Roger Fisher, Das Harvard-Konzept), das viele der Ergebnisse bündelt und bis heute großen Einfluss ausübt.

 

Die Forscher fanden heraus, dass Konflikte vor allem dann gut gelöst wurden, wenn die beteiligten Streitparteien ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit für ihren Konflikt übernahmen sowie eine echte Bereitschaft zur gegenseitigen Wertschätzung  entwickelten. Daraus entwickelten sie z.B. folgende Ratschläge für Streitparteien:

n Gehe das Problem an und nicht die Menschen.

n Nimm die Interessen als Verhandlungsmittelpunkt, nicht die Positionen.

n Suche gemeinsam nach sachgerechten Kriterien für die Problemlösung.

Vor allem aber:

n Mache deinen Konfliktgegner zu deinem Konfliktpartner.

n Behandle die Gegenseite wie einen Richterkollegen, mit dem du ein gemeinsames Urteil fällen sollst.

 

Durch diesen Perspektivenwechsel können wir die Person wertschätzen und gleichzeitig auf der Konfliktebene zu einer sachgerechten Lösung kommen, das für beide Seiten akzeptabel ist. Die Ergebnisse sind oft überraschend und stärken zudem die Beziehung. Das wissen alle, die z. B. gelernt haben, Ehekonflikte gemeinsam und kreativ zu lösen. Diese Grundgedanken haben vor allem wunderbar Platz im Koordinatensystem unserer christlichen Werte.

 

4. Was ist Mediation?

 

Was aber, wenn die Situation so festgefahren, verhärtet oder emotional aufgeheizt ist, dass eine solche wertschöpfende Kooperation undenkbar wäre? In diesem Fall empfehlen die Konfliktforscher aus Harvard einen Vermittler einzuschalten, einen Mediator, wie dieser Schlichter in der Fachsprache inzwischen genannt wird. Mediatoren und Mediatorinnen sollen den Streitfall nicht durch eigene geniale Lösungen entscheiden. Vielmehr ist es ihre Aufgabe,

 

n den Parteien den Raum zu ermöglichen, ihren Standpunkt zu benennen,

n die Problemlage zu klären,

n die Gegner ins Gespräch zu bringen und

n ihnen zu einer selbsterarbeiteten Lösung zu verhelfen.

 

Sie unterstützen also genau jene zwei Grundvoraussetzungen für einen erfolgreiche Konfliktlösung, die bereits weiter oben erwähnt wurde: Eigenverantwortlichkeit und gegenseitige Wertschätzung.

 

Mediatoren sind allparteilich, neutral und darin geschult, den Verhandlungsprozess so zu steuern, dass Problemlösungen zu beiderseitigem Vorteil am Ende stehen. Natürlich müssen Konfliktparteien in vielen Fällen Positionen aufgeben. Ihre Interessen und Bedürfnisse sollten jedoch hinreichend gewürdigt und berücksichtigt worden sein. In einer gelungenen Mediation werden sowohl die Auseinandersetzung als auch das Ergebnis als fair empfunden. Dazu abschließend ein kleines Beispiel:

 

Frau Albrecht und Pastor Schmitz reden nicht mehr miteinander. Frau Albrecht ist Hausmeisterin in der Lukasgemeinde. Zu ihren Aufgaben gehört ein letzter abendlicher Rundgang durch das Gemeindezentrum. Immer wieder hat Pastor Schmitz feststellen müssen, dass sie dieser wichtigen Aufgabe nicht nachgekommen ist. Er hat sie zuerst erinnert, dann ermahnt, schließlich mit Kündigung gedroht. Jedes Mal hat Frau Albrecht Besserung gelobt, aber es besserte sich nichts. Beim letzten Gespräch war sie nervlich so angespannt, dass sie ausfallend wurde. Ein Wort gab das andere, der Streit wurde sehr unerquicklich. Seither gehen sie sich aus dem Weg. Herr Brunner, ein Kirchenvorstandsmitglied, schlägt vor, als letzten Versuch vor der Kündigung ein Mediationsgespräch zu führen. Er kennt einen Mediator und ist von dieser Konfliktlösungsstrategie überzeugt.

 

Sowohl Frau Albrecht als auch Pastor Schmitz erscheinen zu diesem Gespräch mit sehr gemischten Gefühlen. Aber sie sind froh, einen Gesprächsleiter zu haben, der dafür sorgt, dass sie beide ausreden können, ohne vom anderen unterbrochen zu werden. Jemand, der darauf achtet, dass verletzende Seitenhiebe unterbleiben. Jemand, der ihre jeweiligen Sichten zusammenfassen und so ausdrücken kann, dass der andere zunehmend Verständnis gewinnt.

 

Es schält sich langsam heraus, dass der abendliche Rundgang für Frau Schmitz zum Alptraum geworden ist. Vor einigen Monaten war sie abends auf dem Heimweg überfallen worden, ein junger Mann floh mit ihrer Handtasche. Seither hat sie Ängste, von denen jedoch niemand etwas wusste. Sie kann sich deshalb immer weniger zu dem notwendigen Rundgang überwinden. Pastor Schmitz ist überrascht. Damit hat er nicht gerechnet. Aber was tun? Er ist für das Gemeindezentrum letztlich verantwortlich. Er möchte die Gewissheit, dass abends die Heizung zurückgestellt ist und die Fenster und Türen ordentlich verschlossen sind.

 

Der Mediator macht den beiden bewusst, dass dem Konflikt tiefe und legitime Bedürfnisse zugrundeliegen, aber auch ein wichtiges gemeinsames Interesse. Frau Schmitz handelt aus Angst, ihr Interesse ist persönliche Sicherheit. Pastor Schmitz handelt aus seiner Leitungsverantwortung heraus. Sein Interesse ist die allgemeine Sicherheit. Und er hat (nachdem mehrere Lösungsvorschläge besprochen worden waren) eine Idee: Wie wäre es, wenn die Kirche eine Alarmanlage installieren würde?

 

Die Idee wird umgesetzt und bewährt sich. Frau Albrecht fühlt sich durch die Alarmanlage wieder sicherer und nimmt ihre abendliche Rundgänge wieder auf. Pastor Schmitz kann auch wieder ruhiger schlafen. Und vor allem: Die Beiden sprechen wieder miteinander. Sie haben sich besser verstehen gelernt und haben heute mehr Wertschätzung füreinander als vorher. Ja, es ist eine richtige Freundschaft und ein neues Vertrauensverhältnis entstanden.

 

Mediation kann ein sinnvoller, versöhnlicher Weg aus der Krise sein. Diese Konfliktlösungsstrategie hat sich im politischen, gewerkschaftlichen oder privaten Bereich ebenso bewährt wie im Ausgleich von anderen Interessensverbänden, Organisationen oder Gruppen. Auch in unseren christlichen Gemeinden kann Mediation verhärtete Fronten aufbrechen helfen – zum Wohl der Streitenden und der ganzen Gemeinde.